Seit 1958 war der damals 27-jährige West-Berliner Journalist Hans-Joachim Helwig-Wilson mit der Kamera Zur Ausstellung in der DDR unterwegs. Auf den Straßen, am Rande von Demonstrationen und Sportfesten, vor Schaufenstern sowie an den Sektorengrenzen in Berlin hielt er seine Eindrücke für westliche Zeitungen fest. Selbst aus Ost-Berlin stammend, interessierten ihn die sichtbaren Widersprüche zwischen Propaganda und Praxis beim Aufbau des Sozialismus und der alltägliche Umgang der Menschen damit. 1958 fiel in die Zeit eines Wirtschaftsaufschwungs in der DDR; Lebensmittelkarten konnten endlich abgeschafft werden, Sozialmaßnahmen fanden Zustimmung. Die Zahl der Flüchtlinge in die Bundesrepublik nahm ab und sollte im Folgejahr weiter sinken. Im Vorjahr hatte der erste Sputnik die Welt umkreist - dies schien die Stärke des sozialistischen Lagers zu beweisen. Die DDR-Staatsführung propagierte das Ziel, die Bundesrepublik wirtschaftlich bald einzuholen und zu übertreffen. Derweilen verschärften sich die Ost-West-Spannungen vor dem Hintergrund der zweiten Berlin-Krise (siehe dazu die Bilder 32,33 und den Text "Mauerbau"). Im Herbst 1959 verbuchte die SED-dominierte Nationale Front die üblichen 99% Stimmen bei Zur Ausstellungder Volkskammerwahl. Doch war Kritik aus der Bevölkerung, die meinte, keine Wahl zu haben, kein Geheimnis. Die gewaltsam forcierte Kollektivierung der Landwirtschaft mit den folgenden Engpässen in der Nahrungsmittelversorgung sowie die Ungewißheit durch die Berlin-Krise ließ die Zahl der Flüchtlinge schließlich wieder rasant anwachsen. Unübersehbar erwiesen sich die angebliche Zustimmung der Bevölkerung als (Selbst-) Betrug der SED und die hochgesteckten Ziele als Selbstüberschätzung. Als Antwort auf die Krise wurde den Fluchtwilligen der Ausgang aus der DDR gewaltsam versperrt.
Helwig-Wilson hat den Niederschlag dieser Ereignisse in zahlreichen Alltagsszenen dokumentiert. Am 13. und 14. August 1961 war er mit dem Fotoapparat Zeuge des "Mauerbaus". Wenige Tage später wurde er vom Staatssicherheitsdienst der DDR verhaftet und in das zentrale Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen verbracht.

Zur Ausstellung1996 lernte ich ihn dort kennen. Als Zeitzeuge führte er Besucher durch das ehemalige Gefängnis und die entstehende Gedenkstätte. Eindringlich beschrieb er die faktische Rechtlosigkeit und die vielfältigen Demütigungen, die er wie so viele andere in Stasi-Haft und Strafvollzug erlebt hatte. Bitterkeit über das Erlittene und darüber, dass die Verantwortlichen nach 1990 nicht angeklagt wurden, verlieh seinen Schilderungen eine bedrückende und traurige Intensität.
Als ich Jahre später seine Fotos sah, war dies wie eine zweite Begegnung mit ihm; der Ironie und Neugier offenbarende Blick in diesen Bildern liess Zur Ausstellungan einen Ausspruch des französischen Fotografen Robert Doisneau denken. Nach den Voraussetzungen eines guten Fotografen gefragt, hat er diese mit den Eigenschaften eines guten Films für die Kamera verglichen: beide bräuchten eine sensible Oberfläche. Helwig-Wilson hat mittels solcher Sensibilität eine "Prägezeit" der DDR eindrücklich dokumentiert. Eben diese Sensibilität hat ihn im Stasi-Gefängis aber auch besonders schutzlos gemacht. Vielleicht regt Sie die Betrachtung der Bilder ja dazu an, eines der als Gedenkstätte geöffneten ehemaligen Stasi-Gefängnisse zu besichtigen. Möglichkeiten dazu gibt es in Berlin, Dresden, Frankfurt, Halle, Magdeburg, Potsdam, Rostock und Schwerin.

Die Idee zu dieser Ausstellung nahm während eines Referendariats der Juristin Gesa Henrici beim Berliner Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen Gestalt an. Bildauswahl, Konzept der Präsentation sowie Themen und Struktur der begleitenden Texte ergaben sich aus unseren Gesprächen. Sie führte ein Interview mit Helwig-Wilson und arbeitete auch nach Ende des Referendariats an der Fertigstellung dieses Projekts mit.

Zur AusstellungDie Fotos erscheinen jeweils mit Kommentaren zum historischen Kontext der Bildmotive und mit den Bildunterschriften, die Helwig-Wilson ihnen 1958-1961 zum Zweck der Weitergabe an die Presse beifügte. Bildunterschriften aus den späten 50er Jahren und heutige Kommentare werden dabei bewußt nebeneinander gestellt. Es war nicht die Absicht, einen geschlossenen Text zu schaffen, sondern im Zusammenspiel von Bildern und Texten neben Informationen vor allem Anregung zu weiteren Assoziationen und Kommentaren zu geben. Da das Konzept zu dieser Ausstellung aus Gesprächen geboren wurde, sollen Sie das Gespräch fortsetzen können. Dazu haben wir ein Gästebuch eingerichtet, das per e-mail gefüllt werden kann.

Zur AusstellungWir danken Herrn Helwig-Wilson für die Bereitstellung der Bilder sowie für seine Geduld und Auskunftsbereitschaft. Das Copyright für die Bilder liegt bei der Tochter des Fotografen, Gabriele Helwig.

 

Elena Demke und Gesa Henrici, Berlin im April 2001

 

Konzeption und Bildauswahl: Elena Demke und Gesa Henrici
Bildunterschriften: Hans-Joachim Helwig-Wilson, zur Zeit der Entstehung der Fotos
Texte: Elena Demke
Korrekturen und Hinweise: Ludwig Morenz, Falco Werkentin
Grafische und technische Umsetzung: Rene Deubner

 


 

Benutzte Literatur (Auswahl)

Hinweis: auf Quellennachweise im einzelnen wurde verzichtet. Diese können auf Nachfrage geführt werden.

Leonore Ansorg, Kinder im Klassenkampf. Die Geschichte der Pionierorganisation von 1948 bis Ende der fünfziger Jahre, Berlin 1997

Burgard Ciesla, Michael Lemke, Thomas Lindenberger (Hrsg.), Sterben für Berlin? Die Berliner Krisen1946:1958, Berlin 2000 (insbesondere: Patrick Major, Torschlußpanik und Mauerbau. "Republikflucht" als Symptom der zweiten Berlinkrise, S.221-243)

Thomas Flemming, Hagen Koch, Die Berliner Mauer. Geschichte eines politischen Bauwerks, Berlin 1999

Monika Gibas, Rainer Gries, Barbara Jakoby, Doris Müller (Hrsg.), Wiedergeburten. Zur Geschichte der runden Jahrestage der DDR, Leipzig 1999 (insbesondere: Monika Gibas, Rainer Gries, Die Inszenierung der sozialistischen Deutschland, Geschichte und Dramaturgie der Dezennienfeiern in der DDR, S.11-40; Rainer Gries, "...deckt alle mit den Tisch der Republik!", Kleine Geschichte der Geburtstagsgeschenke, S.86-90)

Barbara Jakoby, "Besondere Vorkommnisse?". Die runden "Geburtstage der Republik" aus Sicht der Staatssicherheit, S.198-218

Rainer Gries, Die runden "Geburtstage", künstlicher Pulsschlag der Republik. Zeitkultur und Zeitpropaganda in der DDR, S.285-304)

Ralph Jessen, Richard Bessel, Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996

Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Bonn 1991

Christoph Kleßmann, Zwei Staaten, eine Nation. Deutsche Geschichte 1955-1970, Bonn 1988

Michael Lemke, Die Berlinkrise 1958 bis 1963. Interessen und Handlungsspielräume im Ost-West-Konflikt, Berlin 1995

Thomas Lindenberger (Hg.), Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte der DDR, Köln u.a.1999 (darin: Thomas Lindenberger, Die Diktatur der Grenzen. Zur Einleitung. S.13-44)

Alf Lüdtke, Peter Becker (Hrsg.), Akten. Eingaben. Schaufenster. Die DDR und ihre Texte. Erkundungen zu Herrschaft und Alltag, Berlin 1997

Thomas Scholze, Falk Blask, Halt! Grenzgebiet! Leben im Schatten der Mauer, Berlin 1992 Dieter Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag: Ein Neues Deutschland, Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR. Berlin 1997 (insbesondere: Gert-Joachim Glaeßner, Selbstinszenierung von Partei und Staat, S.20-39; Harry D. Schurdel, Die Hoheitssymbole der Deutschen Demokratischen Republik, S.44-62; Winfried Ranke, Linke Unschuld? - Unbefangener oder unbedachter Umgang mit fragwürdig gewordener Vergangenheit, S.94-112; Klaus-Peter Merta, Uniformierung als Mittel der Politik, S.175-192; Ders., Flatternde Zeichen - Fahnenkult in der DDR, S.187-192; Katharina Klotz, Führerfiguren und ihre Vorbilder - Personenkult in der Ära Ulbricht, S.322-336)

Hermann Weber, Die DDR 1945-1990, München 2000

Peter Wyden, Die Mauer war unser Schicksal, Berlin 1995