"Täglich meldet die SED-Propaganda neue Namen von 'Vollgenossenschaftlichen Dörfern'. DBZ: Innerhalb von 48 Stunden wurde das Dorf Marxwalde im Kreis Seelow das Opfer der SED. 26.3.60"
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Bild 43: Auf der handgeschriebenen Tafel steht: "IN 48 STUNDEN WURDEN IN MARXWALDE ALLE BAUERN MIT 1249 ha MITGLIEDER DER LPG. SIE ENTSCHIEDEN SICH SOMIT FÜR DEN SIEG DES SOZIALISMUS." Zum 8.Mai 1949 beschlossen die Gemeindevertreter von Neuhardenberg in Anwesenheit sowjetischer Militärvertreter, den Ort zu Ehren von Karl Marx in "Marxwalde" umzubenennen. Seit 1991 heißt er wieder Neuhardenberg. Die Tafel vermeldet den Abschluss der Kollektivierung der Landwirtschaft in diesem Ort. Solche Meldungen kamen in jenen Wochen aus allen Dörfern der DDR. Dahinter stand ein langjähriger Prozess. Die Angabe von 48 Stunden verweist indirekt auf die Rabiatheit, mit der dieser Prozess vielerorts im Frühjahr 1960 vorangetrieben und abgeschlossen worden war.

Im Herbst 1945 war in der Sowjetischen Besatzungszone 34% der landwirschaftlichen Nutzfläche durch die Bodenreform enteignet und an 350 000 Landlose und Umsiedler vergeben worden. Diese in den Dörfern oft ausgegrenzten Neubauern schlossen sich (z.T. ohne Billigung der SED) zusammen. Ab Sommer 1952 folgte die erste von der SED unterstützte Kollektivierungswelle. Bereits damals wurde auch in Marxwalde eine LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) gegründet. Nachdem im Laufe der 50er Jahre die Bildung von LPGs in der DDR auf freiwilliger Basis nicht mehr voranschritt, folgte Anfang 1960 die gewaltsame Forcierung. Damit sollte das Ziel des V. Parteitags der SED von 1958, die sozialistischen Umwälzungen der Eigentumsverhältnisse abzuschließen, umgesetzt werden. Praktisch bedeutete die Kollektivierung gerade für alteingesessene und erfahrene Bauern nicht nur die Aufgabe ihres ererbten Besitzes, sondern brachte wegen der geringeren Produktivität der Genossenschaften auch deutliche wirtschaftliche Einbußen mit sich. Die Antwort waren heftige und z.T. gewaltsame Proteste, Fluchten in den Westen und eine steigende Selbstmordrate auf dem Land. In einigen der neuen LPGs versuchten die Bauern, unter formaler Akzeptanz des Zusammenschlusses weiter zu arbeiten wie bisher. Am 16.4.1960 wurde offiziell das letzte Dorf in der DDR "vollgenossenschaftlich", neun Tage später beglückwünschte die Volkskammer die Bauern zum Abschluss der Kollektivierung. Die Proteste hielten jedoch bis August 1961 an, viele LPGs lösten sich vorerst auch wieder auf.